- Kapitel aus meinem Buch Trollblumen im Abendrot.
Ich bin hier auf dieser Welt,
und warte auf meine Seele!
(Indianisches Sprichwort)
Mädchen klein,
Sonnenschein, gern allein,
spazierte in die Welt hinein.
Liebe, Glaube, Hoffnung. Alles was das Glück begleitet, wird durch Einsamkeit zerstört. Glück braucht Augen die sehen und sich spiegeln können.
Ich bin einsam und werde es bleiben. Ich gebe, zu viel, zu wenig, ich bin einnehmend. Ein Fehler, welche Narrheit treibt mich dazu, allen Menschen zu vertrauen? Das ist das alte Lied, liebt mich, ich bin Labsal für eure Seele. Ich gebe mich hin und hoffe, dass es diesmal etwas Gutes wird. Meine Seele, mein Land, sie gebiert Gestalten und Bilder, die liebevoll in die Welt strahlen, ich bin unsichtbar, so wie meine Bilder, meine Geschichten. Der Wind, der kalte Wind des Alltags verwischt die Farben. Heimatlos. Warum bin ich geboren?
Geschöpfe die aus Sternenstaub und Mystik entstehen, haben keine Heimat. Sie müssen sich mit ihren Gaben in die Welt einreihen und doch stehen sie nicht in einer Reihe. Meine Sicht ist durch ein Kaleidoskop der Gefühle von Schmerz, Freude, Leid und Hingabe doppelt gebrochen. Freude ist kurz, danach die Leere. Mein Naturell will Liebe und ewige Glückseligkeit. Lachhaft auf dieser Menschenwelt, wir, die aus dem Paradies Vertriebenen, hemmungslos auf der Suche nach dem Glück. Ein kurzer Moment, ob Traum oder Wirklichkeit, wir wollen ihn immer wieder erleben.
- Die kleine Sibylle
Ich schreibe um Zeit zu verschwenden. Es entspannt mich, Wörter zu Texten entwickeln zu lassen.
Ich schreibe um meine Kinderzeit zu durchforsten, denke an Blumen, Bäche, freundliche Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung.
Wir haben Sommer 2018 und vor meinem Fenster ist die Hitze bei 33 Grad Celsius angekommen. Wir sind empfindliche Mitteleuropäer und können schlecht extreme Wärme ertragen. Wie unsere Pflanzen, Blumen, Sträucher, Bäume. Fische, die zu wenig Sauerstoff zum Atmen in ihrem angestammten Lebensraum haben. Ich will nicht wissen was die Wüstenhitze für uns zukünftig bedeuten wird.
Ich sehe meine Eltern distanziert. Sie konnten mich auf meinem Weg nicht begleiten. Die Spuren des Krieges hatten sie verändert.
Als Dreijährige werde ich von meiner Mutter angehalten Gedichte oder Lieder bei festlichen Anlässen vorzuführen. Ein süßes kleines Ding, jeder mochte mich. Ein Schritt, ein Zweiter, ein Irrweg. Immer putzig sein, das wollte Verstellung. Ich wurde nicht wegen meiner selbst geliebt, nein das Püppchen, das Erwachsene erfreute, sich ganz auf Äußerlichkeiten verlegte, mit seinem Charme und seiner Lebhaftigkeit. Meiner Mutter gefällts!
Das ist kein Weg in eine sinnvolle Zukunft. Sie benutzen mich als Dekoration, was ich nicht will, ein ständiges Suchen nach Anderem, eine andere Anerkennung, ein sinnvolleres Tun, dass mir Zufriedenheit gibt. Ein Blick aus ernsten Augen, der hinter meine Fassade sieht. Vielleicht hilfreich.
Eine Lust, mein kleines Herz jedem anzubieten, der mich freundlich betrachtet. Eine Katastrophe, Gewohnheiten werden früh angelegt. Leer und still und kalt, es konnte nicht gut gehen. Ich war zu jung um die Abgründe des schönen Scheins zu erkennen und daraus Lehren zu ziehen. Ein Irrweg.
Ich lebte mit Glockenblumen, Margariten, Schlüsselblumen und Trollblumen, sie waren meine Vertrauten, meine Familie. Damals fühlte ich wie eine Blume, später wandelte ich mich in eine Elfe. Die Flucht vor der Wirklichkeit hatte mit meinem dritten Lebensjahr begonnen. Das war das Jahr, als Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte.
- Vaters Heimkehr
Seit ich laufen und denken kann, spiele ich mit meinen Mühlwasserfreunden auf den alten Balken, die vor dem Haus des Schreinermeisters Hänsle liegen. Meine Großeltern leben in dieser Gasse, die Mühlwasser heißt, mit ihrer Familie, den Gänsen, den Hühnern und ab und zu ein Schwein. Das Schwein lebt knapp ein Jahr, dann beendet mein Großvater dessen Leben mit einem langen Schlachtmesser. Er versichert mir, dass dieses Messer dem Tier kein Leid verursache.
Ab da wurde ich zu einer Vegetarierin, unbewusst, damals ist diese Form der Ernährung nicht bekannt, zumindest nicht in meinem Millieu.
Zwei Mühlen, die obere- und die untere Mühle, sie existieren bis Heute, werden von einem kleinen Fluss, dem Mühlwasser, angetrieben.
Zurück zu den Balken, sie dienen uns zum Ausruhen, wir spielen mit Puppen, essen unser „dickes Apfelbreibrot.“ Meine Oma spendiert es auch den Nachbarskindern. Die Holzbalken dienen uns als Kulisse für unsere Theaterstücke, die sich aus dem Stehgreif entwickeln. Kurze Episoden, die sich aus Begegnungen mit Erwachsenen ergeben. Ich ahnte mehr, als ich wissen konnte, dass in manchen Häusern das Leben nicht so harmonisch verlief wie in unserer Familie. Vor einigen Männern, auch Familienväter, hatte ich Angst, wenn sie mir begegneten. Sie schauten finster und grüßten nicht zurück.
Viele Männer waren noch in Kriegsgefangenschaft, wie auch unser Vater. Mutter musste sich um unser Überleben kümmern. Einen Haushalt mit zwei Kindern führen, ist nicht einfach. Sie näht nebenbei für Nachbarn und Bekannte Kleider, Röcke und Blusen. Oma, bestickt auf Wunsch der Kundinnen schöne Ornamente auf Blusen und Monogramme auf die Bettwäsche für die Aussteuer der zukünftigen Hausfrauen und Mütter.
Zusätzlich verbessert Oma unser Auskommen durch die Ausgabe von Krankschreibungen der Ortskrankenkasse. Ein kleiner Tisch mit vorgedruckten Krankmeldungen und verschiedene Stempel steht in einer Ecke neben einem Fenster. Im Sommer erledigt sie die Arbeit durch das Fenster, im Winter kommen die Antragssteller in unsere gute Stube.
Wir spitzen die Ohren, wenn wir Kinder uns in dem Zimmer aufhalten durften und die Leute den Grund der Krankmeldung unserer Oma erklären. Meistens sind es Unfallmeldungen von Arbeitern, selten sind ältere Menschen darunter, irgendwie waren sie nicht krank, dachte ich mir. Meine Oma ist auch nie krank.
Die Schilderung musste schriftlich abgegeben werden. Leider war das Geschriebene oft fehlerhaft und nicht verständlich, so dass Oma sich erbarmte und die Männer, meistens waren es Arbeiter von dem Basaltwerk Hoesch, oder Bauern aus der Umgebung, mit ihrer Hilfe noch einmal den Hergang beschreiben mussten. Sie schrieb die neue Version unten auf den Zettel und sie setzten ihren Namen darunter.
Wir frechen Kinder lachten hemmungslos, wenn sie erleichtert aus der Türe waren. Ein Wortsalat mit vielen Fehlern, sehr komisch, auch die Erwachsenen mussten lachen. Nur Oma verteidige die Männer und scheuchte uns aus dem Zimmer. Auch damit kam Geld in die knappe Haushaltskasse in der schweren Nachkriegszeit.
Wir Kinder essen mittags bei den Großeltern. Ebenso meine Mutter und ihre drei Geschwister, die noch mit im Haus leben. Der Zusammenhalt funktioniert gut, es gibt kaum Ärger in unserer Familie. Wir hatten es gut. Alle akzeptieren ihre zugewiesene Arbeit und sind zufrieden mit dem was wir haben. Ich erinnere mich an eine schöne Zeit mit viel Spaß und Scherzen.
Der Duft von frisch gebackenem Kuchen und Bohnerwachs ist mir bis heute sehr bewusst. Immer Samstag wurde die Holztreppe, die in den ersten Stock führt, mit Schmierseife geschrubbt. Stunden später, ihre Stufen sollten trocken sein, wurde sie mit Bohnerwachs behandelt. Oma sperrte die Treppe für zwei Stunden, keiner durfte sie betreten.
Werktags von neun bis zwölf Uhr, werden wir im katholischen Kindergarten aufbewahrt. Die barmherzigen Schwestern leiten ihn. Sie tragen eine schwarze Tracht mit Schleier und unter dem schwarzen Schleier noch ein weißes Ungetüm, das nur ihr Gesicht frei lässt. Die Schwestern beschäftigen sich geduldig mit uns, wir lernen Stricken, Sticken und Häkeln. Ich bin gern in dieser Kinderbewahranstalt, ich lerne viel. Es erfreut mich, wenn etwas gut gelingt und beschert mir die Liebe zur Handarbeit und kreatives Arbeiten. Noch heute bereichert es mein Leben.
Die Schwestern lernen uns Lieder und lesen uns Märchen oder kleine Geschichten vor. Um Punkt zehn Uhr gibt es heißen Kakao mit echter Milch.
Davor wird gebetet. Beten begleitet uns durch die Zeit unserer Anwesenheit. Es stört mich nicht. Eine gute Zeit.
Nach dem Mittagessen bei Oma, geht es wie immer mit den Nachbarskindern auf die Balken. Es gibt Streitereien untereinander, wir schreien und toben, immer mit Lust und nie so richtig böse. Es hilft uns, den dörflichen Alltag besser zu ertragen. Die meisten Nachbarn lassen uns gewähren, nur Gustel, eine Kriegerwitwe keift mit hochrotem Kopf aus dem Fenster, ihr spezielles Tor nach draußen. Sie schreit uns an: „Geht doch hinter zu den Gärten im Privatweg, da könnt ihr lärmen!“
Mit dicken Armen, die sie auf ein Kissen stützt, verbringt sie einen großen Teil ihrer Zeit damit, Leute zu beobachten und gehässige Kommentare abzugeben. Wir wilden Kinder in unterschiedlichem Alter, lassen uns von ihr nicht einschüchtern.
Ich liebe die Balken, im Sommer fühlen sie sich warm an, sie riechen nach alten Zeiten. Im Winter sind sie mit Eis oder Schnee überzogen. Nur die Mutigsten wagen sich auf den glatten Holzberg. Ich denke mir über sie kleine Geschichten aus, meist mit etwas Angst vermischt, das ist abenteuerlicher. Altersgrau, ohne Rinde, ein Stapel glatter Stämme. Wir wundern uns, dass der Schreiner die Stämme nicht verarbeitet.
Die alten Balken sind für mich lange Zeit ein Sinnbild für Unvergänglichkeit.
Damals fühlte ich, wie ich sein konnte, ich war mir selbst genug. Eine Seligkeit.
Als Vater aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war ich drei Jahre alt. Ich erinnere mich genau an diesen Tag. Es war im August 1947, ein sehr heißer Tag.
Meine Mutter ist total aufgeregt, sie zieht sich ihr schönstes Kleid an. Ich werde ebenfalls schön gemacht. Eine rosa Schleife in meinem Haar und weiße Söckchen, eigentlich nur für Sonntag gedacht, zieren mich. Ich soll gefallen. Ich will nicht so recht. Mein Vater, ein Fremder, der bestimmt nur stört. Ich bin unwillig.
Sie zerrt mich durch Bischofsheim, die Leute rufen uns zu: „Schön, dass der Hermann endlich nach Hause kommt!“
Alle wissen, dass heute Kriegsheimkehrer mit dem Zug ankommen. Mir ist nicht wohl dabei, ich fürchte mich vor dem fremden Mann. Mama wiederholt immerzu, „Ich freue mich, wenn Papa wieder bei uns ist.“
Langsam fange auch ich an mich zu freuen und denke mir allerlei Sachen aus, die ich ihm sagen werde. Ich wünsche mir so sehr, dass er mich mag. Meine erste Begegnung! Aber Mutter sagt streng, „du darfst Papa mit deiner Plapperei nicht aufregen. Er hat schwere Zeiten durchgemacht, er braucht Ruhe und Zeit für sich.“ Wenn sie das sagt, gibt es kein Erbarmen. Ich muss mich fügen. Schade, ich wollte ihm so viel erzählen. Der Tag war nicht mehr hell und strahlend. Meine Schwester Siglinde hatte Mumps und musste im Bett bleiben, sie ist zwei Jahre älter als ich. An diesem Tag hätte ich gerne mit ihr getauscht, aber nur an diesem Tag!
Der Zug kam von Bad Neustadt/Saale und hatte eine kleine Steigung zu bewältigen. Mein Opa erklärte mir, wenn die Lokomotive den Berg hinauffährt, hört sich die Dampflock wie „Oh helft mir doch, oh helft mir doch,“ an. Abwärts klingt es: „Ich brauch dich nicht, ich brauch dich nicht!“
Irgendwie konnte ich es so hören. Opa hatte immer recht bei solchen Sachen.
Ich sah schon die Dampfwolken, die die Lock in kurzen Abständen auspustete.
Der Bahnsteig ist voller Erwachsener und der Herr Bürgermeister mit Blaskapelle steht vorne, um die Heimkehrer zu begrüßen!
Der Schaffner ruft: „Bischofsheim, Endstation, alle aussteigen!“
Die Menschen verstummen und wirken wie graue Steine. Die Blicke hängen an den Waggontüren, die sich jetzt alle öffnen. Langsam steigen Männer aus dem Zug. So viel dünne und traurige Gestalten hatte ich noch nie gesehen. Eine unsichtbare Mauer trennt sie von uns.
Die Musikkapelle fängt an zu spielen und die traurige Situation ist leichter zu ertragen.
Sie spielen: „In der Heimat in der Heimat, da gibts ein Wiedersehn!“ Zaghaft gehen einige Frauen auf ihre Männer zu. Es wird viel geweint, immer wieder sich angeschaut und umarmt. Der Bürgermeister begrüßt die Heimkehrer und wünscht ihnen für die Zukunft alles Gute. Langsam löst sich der Knoten der Fremdheit. Immer wieder schiele ich zu meinem Vater hinauf. Er hat uns etwas mitgebracht. Feigen. Ich habe noch nie so eine Frucht gesehen. Sie sind getrocknet und in einer braunen Schachtel verpackt. Er erzählt uns, dass in Marseille ein Schiff voller exotischer Früchte im Hafen liegt. Das mussten die Heimkehrer entladen. Zur Belohnung können sie etwas von der Fracht auf ihre Heimreise mitnehmen. Die Bananen faulen schnell, daher keine Bananen. Ich verstehe nur die Hälfte, will an der Hand von Papa laufen und ihn fragen. Mama zieht mich weg und zischt, „lass das“! Ich bin traurig und verstehe sie nicht. Sie ist verändert, streng blickt sie mich an. Am liebsten hätte sie mich stumm, wie eine Puppe, die nach Bedarf hervorgeholt wird.
Es ist aufregend, überall kommen die Menschen aus den Häusern und begrüßen die lang ersehnten Heimkehrer. Bischofsheim ist eine kleine Stadt, jeder kennt jeden. Wir laufen noch schnell bei den Großeltern vorbei, um den Vater vorzuführen. Danach geht es in unsere Wohnung, die im Oberen Mühlwasser liegt.
Ich kannte Vater bislang nur von Fotos in seiner Uniform. Mutter erklärt uns stolz, dass er als schöner Mann gilt. Jetzt sieht er älter und traurig aus. Seine Augen sind grün, ich habe die gleichen mit etwas blau dazwischen. Jetzt sind seine Augen entzündet und wirken wässerig. Unser Vater ist dünn wie der Suppenkasper aus meinem Buch, der Struwwelpeter. Siglinde wird noch von ihm begrüßt. Sie fiebert vor sich hin und bekommt nicht so viel mit an diesem Abend. Wir dürfen von den Feigen essen, mir schmecken sie nicht, trocken und süß. Punkt sieben müssen wir ins Bett und Licht aus.
Früher durften wir länger aufbleiben, mindestens bis acht Uhr, manchmal länger als neun. Bei den Großeltern bis zehn. Jetzt gab es schon ein Früher.
Heute fängt eine andere Zeit an. Wir teilen unsere Mutter jetzt mit dem Mann, alles wird bestimmt anders werden.
Was kommt da auf mich zu? Bestimmt lausige Zeiten, mit weniger Freiheit, die so wichtig für unsere Spiele im Mühlwasser und auf den Balken ist. Instinktiv bemerke ich die Veränderung in unserer Familie. Papa sieht so streng aus. Wir müssen folgen und zwar sofort. Wie bei den Soldaten!
- Eine alte Bank.
Ab und zu, wenn ich mich in die Vergangenheit begeben will, fahre ich mit dem Rad in den nahen Frankfurter Stadtwald, hier ist es schön um zu verweilen. Ich überlasse mich verträumt einer alten Holzbank. Tiefe Rillen zeigen mir ihr langes Hiersein im Schatten einer mächtigen Trauerweide. Ihre langen Ruten hängen in den Weiher und lassen Ringe ins Wasser treiben. Libellen landen und starten, als ob sie einen Zeitplan einzuhalten hätten. Ich beobachte die Szenerie, Enten schnattern und fliegen nahe an der Wasseroberfläche. Ihre Landemanöver sind beeindruckend. Unsere Welt ist schön und bietet uns romantische Fluchten. Hier finde ich den Faden zu meiner Vergangenheit. Gefühle kommen zurück, ich mache mir Notizen. Es schmerzt, mich als Kind zu erleben. Ich habe keine Chance gegen Verhaltensweisen, die mir aufgezwungen wurden und die sich eisern verankerten. Mein Wert besteht im „Auge des Betrachters“. Langsam dämmert mir das Verhängnis, welches sich deutlich in meinem Erwachsenenleben ausbreiten konnte.
Ich verabschiede mich von dem stillen Ort und radle um den See, um mir im Garten der Oberschweinstiege eine Tasse Kaffee und ein Stück Obstkuchen zu gönnen. Eben, als ich mir das Erinnerte bewusst mache, erscheinen Bilder über sommerliche Sonntage mit der Familie.
Ich sehe meine Schwester Siglinde, meine Patentante mit ihrem Mann Jakob, der mit der Metzgerei und Katja, meine kleine Cousine, die ich sehr gerne mag. Die Freunde meiner Eltern mit ihren Familien, Spätheimkehrer aus dem zweiten Weltkrieg, oder aus ihrer Heimat Vertriebene.
Sie versuchen hier, in einer ländlichen Gegend, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Unsere Unternehmungen bei schönem Wetter sind herrliche Touren über die Hochmoore und sanften Hügel der bayrischen Rhön. Das Land der weiten „Fern“, ist bei uns allen beliebt. Es gibt „Mitgebrachtes“, wie es nach dem Krieg üblich ist. Wer durstig ist, trinkt von dem kühlen Quell am Eisgraben. Es wird viel gelacht, alle sind gut gelaunt. Von Leid und Sorge ist nichts zu spüren. Für mich, das schönste Erleben schlechthin, eine Freude, die Stille der Natur zu erleben. Die Blumenwiesen mit den Trollblumen, ein goldgelber Teppich breitet sich weit vor uns aus. Eine Blüte, die durch viele kleine Blätter eine feste Kugel formt, es rührt mein Herz, so bescheiden die einzelne Blume, konnte sie jedoch eine Landschaft mit ihrem Blütengold veredeln.
Ich erlebe diese Zeit immer wieder, Lerchen, die jubelnd in der blauen Höhe ihr Lied zwitschern. Eine sanfte Sonne, die freundlich auf uns herab strahlt. Hier kann ich sein, hier bin ich eins mit der Natur, hier ist meine Heimat. Ich erinnere mich an den Geruch der dunkelgrünen Wolldecke, auf der wir lagern. Sie riecht nach alter Wolle, wie meine selbstgestrickten Strümpfe nach dem Waschen. Sie halten meine Beine im Winter warm, wenn die Temperaturen unter zwanzig Grad minus sinken. Sie kratzten fürchterlich, bis sie sich an meinen Beinen erwärmen.
Unsere Mutter ist eine energische Frau, sie kann sich durchsetzen und erreicht fast immer ihre Ziele. Diesmal organisiert sie mehrere Decken, die aus dem Lager der Wehrmacht kommen. Für gute Zwecke sagt sie. Der Lagerverwalter kennt Mutter und schenkt ihr Mehrere. Dafür bekommt er Eier und ein Glas Hausmacher Wurst. Für uns und die Nachbarskinder färbt sie die Decken weinrot und näht Mäntel daraus. Es entstehen schöne warme Kleidungsstücke. Auch meine Freundin Birgit bekommt einen Mantel, ein Flüchtlingskind. Flüchtlinge, so nannte man die Vertriebenen.
Dunkelblaue Paspeln verzieren den Kragen und die beiden Taschen. Frau Forst, das ist unser Familienname, kennt die Armut der geflüchteten Menschen, die in der kleinen Stadt angesiedelt wurden. Durch ihren Beruf als Schneiderin kann sie helfen und einiges dazuverdienen, dass macht unser Leben leichter.
Diese Ausflüge helfen mir, mein kleines verstörtes Herz zu beruhigen. Meine Familie, alles rechtschaffene Leute, nichts auszusetzen an ihnen. Eine äußerliche Form von Sicherheit, gibt es das? Wie lebten wir 1948 in diesem kleinen Städtchen, dass meiner Seele so viel Nackenstreiche verpasste. Wieder und wieder versuche ich wie ein strampelnder Käfer im Wasser nicht unterzugehen. Je mehr ich mich bemühe, umso weniger kann ich eine von vielen sein. Mit zehn Jahren fange ich an, mich von mir selbst abzuspalten und flüchte immer öfter in meine Kunstwelt. Ein Garten mit Blumen und Sonnenschein, doch auch hier überfällt mich Dunkelheit, breitet sich aus, ein Labyrinth, voller Schatten und Angst.
Ich durchlebe diese unterfränkische schwermütige Schmerzflussblumenzeit als gegeben. Ich habe nichts dagegenzusetzen. Damals wusste ich nicht was Leben ist, wie denn auch, ein zierliches Mädchen, blond, schüchtern und unsicher. Ich war mir meiner Fremdheit bewusst, ein Alien in Unterfranken!
Was geschah mir, was wollte das Leben von mir, mitten in einer ländlichen Gemeinschaft? Es konnte nicht nur ein Verschulden meiner Mutter sein, die doch ihre Pflichten als Mutter erfüllte.
Was ich hier niederschreibe, ist ein Versuch, mein vergangenes Leben mit Substanz dick und fett zu füllen. Eine Brücke zu bauen, um in die Kinderzeit zurückzueilen, das Ereignis zu finden, dass mich formte. Ich erfinde Statisten, die ich schuldbeladen auf einem Schachbrett hin und her schiebe. Kein schlechter Gedanke, es könnte eine Familienaufstellung helfen, aber nein, mir fehlt die Dramaturgie und das Leben übernimmt das Regiment.
Manchmal erlebe ich Situationen, die mich meiner Unsicherheit bewusst machen und Vertrauen zu mir und den Menschen zerstören. Kleine Vergehen, eine Lüge, ein einziges Mal den Griff in den Geldbeutel meiner Mutter, danach eine Woche Einzelhaft und Spießrutenlaufen in der Familie. An den Pranger gestellt, meine Mutter weiß was schmerzt.
Kann ein Kind schuldig sein, kann eine achtzehnjährige Jungfrau schuldig sein, in einem alten Seitenflügel eines Krankenhauses als Kinderkrankenschwesternschülerin für drei Jahre. Vier Mädchen in einem Zimmer. Gestärkte blau-weiß gestreifte Schulkleider, die strenge Disziplin, der feierliche Eid, Verschwiegenheit über alle persönlichen Angelegenheiten der Patienten, die mir anvertraut werden. Reinheit, das heißt mich fernzuhalten von allem was verderblich oder unerlaubt ist. Ein Leben mit Vorschriften, viel Arbeit, dem Arzt zu helfen und mich selbst dem Wohl derjenigen zu widmen, deren Pflege mir anvertraut ist.
Endloses Auswendiglernen von komplizierten Sätzen und Wörter in Latein, zu viert lernen wir, bis die Litanei in unseren Hirnen verschwindet.
Dann langsam eine erlösende Dämmerung von Verständnis, die Erleuchtung, weil all das Gelernte einen Sinn ergab.
Allgemein – Medizin, Anatomie, Infektionslehre, Chirurgie, Verbandlehre, Desinfektion, Physiologie, Erste Hilfe, Pharmakologie, Gesetze und vieles Andere was wir lernen mussten.
Vorsichtige Handgriffe an den winzigen Säuglingen oder sich wehrende und schreiende Kleinkinder. Die Angst vor den Doktoren, die Angst vor Prüfungen. Die arbeitsintensive Pflege ging einher mit Kichern, Tratsch, Eifersucht, Streberei und kleine wichtige Erfolge.
Wir lernen an einem hölzernen Dummy Verbände machen, wir üben an Orangen die Technik von Injektionen, baden hölzerne Puppen. Die Hände werden rau, der Rücken schmerzt. Wir haben Mitleid mit den Stöhnenden, sind überfordert mit widerspenstigen Kranken, haben Angst vor Fehlern, wissen nicht wie mit den Hoffnungslosen umzugehen ist.
Die erste Operation, die erste Leiche. Ich sehe Geburten und Sterbende, ich gewöhne mich an den Geruch von Desinfektion, die den faulen Geruch der Krankheit überdeckt. Ich werde gescholten, auch gelobt. In meiner Ausbildung richte ich Tabletts für Verbände, für Operationen, für Tabletten, schreibe Protokolle und Berichte, die Routine hilft mir schneller meinen Arbeitstag zu organisieren. Die Trommel mit Verbandzeug, sterile Pinzetten, scharfe und stumpfe Scheren, Skalpell und Spritzen. Ich mache zahllose Betten, in denen unbewegliche Patienten liegen.
Ich habe eine gute Hand für die kleinen sowie für die älteren Patienten, ich kann kleine Kinderchen mit meiner Hand und Stimme beruhigen.
Was mir großen Stress bereitet, ist die Theorie. Immerzu wiederhole ich die Infektionserkrankungen. Ich habe Versagensangst. Meine Unsicherheit raubt mir den Schlaf.
Jedoch oh Wunder, ich schaffe das Examen mit einem „gut“. Wie immer habe ich mir das nicht zugetraut.
Das letzte Jahr, das Praktikumsjahr meiner Ausbildung verbringe ich auf der Entbindungsabteilung. In dieser Zeit entschließe ich mich, nach meinem Examen, eine Zusatzausbildung für die Frühgeborenen-Intensivpflege zu beginnen.
1962 werden Schwesternschulen internatsmäßig geführt. Ausgang bis zweiundzwanzig Uhr. Kein Besuch von Freunden, Brüder nur in Begleitung der Eltern. Verpflegung früh, mittags und abends, Arbeit auf Station, von sechs bis zwölf Uhr, zwei Stunden Pause, danach bis neunzehn Uhr Dienst, bis die Nachtwache den Tagesdienst ablöste.
Würzburg, eine Kreisstadt mit Universität, historischen Bauten, eine Bischofsstadt, umgeben mit Weinbergen, ist die Hauptstadt von Unterfranken. Altehrwürdig kommt sie einher. Nach dem Krieg eine Ruinenstadt, viele historische Bauten waren zerstört. Der Aufbau dauerte bis in die 70 bis 80er Jahre. Bausünden bis Heute sichtbar.
Ich habe mir einen schweren Beruf ausgesucht, er fordert Disziplin, wie soziales Denken und Beobachtungsgabe. Die kleinen Patienten können sich über ihre Schmerzen nicht äußern.
Was habe ich gutzumachen. Ich opfere mich, ich verabscheue mich, ich fühle mich entmenschlicht, komme mir wie eine Hülse vor. Im Arbeitstakt einer Klinik kann ich funktionieren, lerne gut, bin verlässlich, freundlich. Für die winzigen Frühgeburten bin ich die ideale Besetzung. Geduldig, sorgfältig, verantwortungsvoll. Eigenschaften, welche mir in diesem Beruf zu einer Karriere verhelfen werden.
In dieser Zeit in Würzburg bin ich ein Warenhaus, das immer neue Dekoration braucht, um wahrgenommen zu werden. Die Sonntage, wenn ich keinen Wochenenddienst habe und ich nicht nachhause zu meinen Eltern fahre, zeigen mir meine Unfähigkeit, mich in einen sozialen Kontext einzufügen. Ich habe nicht gelernt einen freien Tag sinnvoll zu gestalten. Frustration raubt mir alle Energie um etwas zu planen und umzusetzen. Nur im Tretrad der Klinik kann ich funktionieren. Ich bin schrecklich unglücklich in dieser schwierigen Zeit meiner Ausbildung.
In einem alten Buch habe ich gelesen, dass alles Leid von Liebe und Neigung kommt, „denn Liebe und Neigung ist des Leidens Anfang und Ende“.
Ich sehe Familien, die zu einem Fest eilen, oder spazieren gehen. Das hatte ich auch, als ich noch zu Hause wohnte. Das war schön, aber auch konfliktreich. Was will ich, ich komme nicht weiter mit meinen Gedanken. Statt Kraft zu schöpfen und mich von dem anstrengenden Dienst auf Station zu erholen, verausgabe ich mich mit meiner eigenen Unzulänglichkeit.
Ich will diese dreijährige Ausbildung zu Ende bringen. Dann aber, wird das Leben auch für mich beginnen. Was erwarte ich, ich habe keinen Plan was Leben bedeutet. Könnte ich doch in die Zukunft schauen!
- Faschingsball
Fasching ist in der Nachkriegszeit in Unterfranken ein entfesseltes, mitunter ein derbes Vergnügen. Zumindest auf dem Land. Die städtischen Vergnügungen kenne ich nicht, noch nicht. Mein Opa ist einer der verrücktesten Narren in Bischofsheim. Von Faschingssonntag bis Aschermittwoch lebt er seinen Faschingstraum. Nachts geht das Treiben weiter. Er erzählt mir Geschichten über Hüttenhexen und Nachtumzüge. Menschen mit Rhöner Geist im Blut, die Altvorderen, ausgewählt, handverlesen, nur sie dürfen bei diesem Spektakel dabei sein. An Fasching zieht er eine alte Rhöner Frauentracht an, schultert seine Kiepe, die mit Wecken, Bretzel und kleinen Kinderwürstchen bestückt ist und begibt sich auf seinen lustigen Gang durch die Fasnacht um andere Narren zu beglücken. „Halex“, so ist bis heute der Faschingsruf!
Kinder liebt er sehr und wir Kinder lieben unseren Opelblitz, so nennen wir ihn liebevoll. Meine Oma duldet diesen Spaß von ihrem Karl. Von ihm habe ich die Gene der Faschingsfreuden und einige speziellere Gene dazu, die mir extreme Freuden, aber auch im Nachhinein Leid bescheren.
In Würzburg leben viele Studenten. Viele sind in den 60er Jahren in schlagenden Verbindungen organisiert. Ihre Verbindungshäuser prangen in schönen Parkanlagen neben unserer Klinik. Wir hören, ob wir wollen oder nicht, ihre regelmäßigen Gelage, sehen ihre Aufmärsche in voller Montur. Sie benehmen sich wie Soldaten mit ihren Statuten und Hierarchien. Im Nachtdienst geht öfter die Glocke und vor dem Eingang stehen Studenten in ihrem Kommis, alkoholisiert, im Gesicht einen Schmiss, so nennen sie die Verletzung, die sie sich bei einem Säbelkampf zugezogen haben. Wir sollen die Blutung stillen, aber die Wunde bitte nicht nähen, sie ist das Zeichen für die Mitgliedschaft eben jener Verbindung. Teutonia oder Borussia, je nachdem, welche Burschenschaft für den Einzelnen in Frage kommt. Einige Ärzte haben Erbarmen und behandeln sie. Andere wiederum, schicken sie in die nächste Ambulanz für Erwachsene.
Wir Schülerinnen aus der Schwesternschaft, möchten unbedingt Fasching feiern, dabei sein, Spaß haben, Abstand von dem schweren Dienst an schwerkranken Kindern und der strengen Aufsicht einer ehrwürdigen Oberschwester. Die Ausgehzeit wird ausnahmsweise auf ein Uhr verlängert. Fünftes und sechstes Semester haben nach Antrag unbegrenzt Ausgang.
Wir unteren Semester wollen zu einem Maskenball in die Huttensäle. Es ist der absolute Ball, damals 1963. Die Eintrittskarten haben wir von Medizinstudenten aus unserer Nachbarschaft.
Um zwanzig Uhr fängt das Spektakel an. Wir sind neunzehn Jahre alt, unbändig, voller Lebensfreude und Neugier.
Liz schminkt uns für den Ball in ihrem Zimmer. Sie ist im letzten Semester, ich bewundere sie, eine sehr gute Mentorin, die mir gekonnt die Pflege in der Neonatologie übermittelt. Sie ist eine ausnehmend hübsche Person, sehr schlank, biegsam wie eine Weidenrute, ruhig in ihrem Auftreten. Grüne Augen und blassrotes feines Haar. Sie strahlt die Aura einer Erwachsenen aus, ich habe Angst um sie, eine zarte Erscheinung. Sie fasziniert mich. Ich spüre, dass sie trotz ihrer Zartheit sehr energisch sein kann. In ihren Augen sehe ich einen unbezwingbaren Willen. Wir gehen manchmal in unserer Freistunde spazieren, dabei erzählt sie, dass sie seit längerer Zeit mit einem GI befreundet ist. Er ist in Würzburg stationiert. Durch sie erfahre ich viel über Gepflogenheiten der amerikanischen Soldaten mit ihren Familien, die mit ihnen in abgegrenzten Kasernen leben. Mitten in der Stadt ein Hoheitsgebiet der Amerikaner! Liz möchte, dass ich mit ihr zu einem öffentlichen Fest, dass sich -Deutsch Amerikanisches Freundschaftstreffen- nennt, mitkomme.
Ich will, aber mir ist nicht wohl dabei. Zu fremd, die ganze Geschichte. Trotzdem sage ich zu.
Nach ihrem Examen möchte sie mit ihrem Freund in die USA. Aufregend, was sie mir da erzählt. Ich hätte nicht so viel Mut, mit einem fremden Mann, in ein fremdes Land auszuwandern.
Von ihm bekommt sie allerlei Geschenke, Nylons, Makeup, Zigaretten und Schokolade, er erfüllt ihr viele Wünsche. Aha, denke ich, daher die Schminke, die sie uns gekonnt auf unsere erwartungsvollen Gesichter aufträgt
Es ist so weit. Mein erster richtiger Faschingsball, hurra, ich freue mich riesig! Wir sind zu viert: Veronika, Ursel, Traudl und ich. Ich bin als Elfe verkleidet, grün, rosa und erdfarben, das Kleid ist von Liz, (insgeheim Dankeschön meine Liebe.)
Ich fühle mich wie die Morgenröte hinter der Rhön, ich glühe vor mich hin, soviel Glück in mir.
Los geht`s!
Wir gehen zu Fuß, die Huttensäle sind in fünfzehn Minuten zu erreichen. Die Kälte bremst unsere Erwartung nicht. Karten vorzeigen, Mäntel abgeben, letzte prüfende Blicke im Spiegel. Wir suchen und finden einen Platz neben der Band im „großen Saal“. Ein langer Tisch mit genügend freien Plätzen. Mein Faschingstraum beginnt. Wir versprechen uns sehr ernst, zusammen nach Hause zu gehen. Eine Sicherheit für uns!
In drei Sälen spielt unterschiedliche Musik. Für die Schlagerfans, nicht mein Rhythmus, aber die Mädels mögen die deutschen Schlager. Veronika tanzt eng mit einem Jüngling. Wir haben kurz Blickkontakt, dann schwebt sie glücklich lächelnd, geführt von einem Revolverhelden, zur Bar. Uschi und Traudl sehe ich nicht. Ich schlendere cool in den mittleren Saal, eine angesagte Band spielt Volksmusik, nein keine Blechmusik heute und auch keine Polonaise. Ich begebe mich wieder an meinen Platz. Die Band spielt Rock/Pop, hier bleibe ich, die Musik verspricht einen guten Sound und harten Rhythmus. So will ich das heute. Die Band besteht aus vier Musiker. Ein wilder Sänger, er imitiert nicht, es sind neue Songs, neue Texte. Englisch und manchmal im unterfränkischen Dialekt.
Ich brauche Vorlaufzeit, so schnell bin ich nicht in diesen Dingen. Mein Verhältnis zu Jungen ist ein leeres Kapitel, unerprobt. Kaum Kontakte, außer damals im Schwimmclub. Ich sah die Blicke einiger Jungens, ich wusste nichts damit anzufangen, eben nicht interessiert.
Ich stufe mich als schüchtern ein und fühle mich plötzlich sehr einsam und unsicher. Will ich diesen Auflauf? Mein Elfenkleid gefällt mir nicht mehr. Zu dick, es macht mich dick! Jetzt bedauere ich mich auch noch! Ich schiebe meinen Stuhl in Richtung Band und höre der Musik zu.
Der Gitarrenspieler blickt öfter zu mir. Ich schaue mich um, meint er mich? Ja, er blinzelt mir zu. Was ein Blödmann, mich anzublinzeln wie eine Sitzengebliebene, die es nötig hat. Ich stehe auf und tanze für mich alleine. Ich tanze gut, ich kann es, ich habe Rhythmus, ich liebe es zu tanzen. Jetzt bin ich bei mir, ich habe endlich den Zugang für diesen Abend gefunden. Plötzlich gibt es Tänzer, ich langweile mich nicht mehr, atemlos geht es weiter. Ich setze mich, diesmal glücklich und beschwingt, ich schaue nicht weg, wenn mich Blicke treffen. Der Gitarrenspieler steht vor mir. „Hallo Elfe, aus welchem Wald bist du ausgerissen? Willst Du mit mir tanzen?“
„Musst du nicht spielen?“.
Ich werde nicht rot, ich habe schon drei Gläser Sekt getrunken. Er erklärt mir, dass jeder der Musiker eine Pause bekommt, wenn er will. Er wollte!
„Gunnar Raunhof, Medizinstudent im achten Semester. „Ich mache Musik um mein Taschengeld zu verbessern.“
Aha, ein Student ohne Schmiss, na gut. Sehr artig, dass er sich vorstellt!
„Ich bin Sibylle, Kinderkrankenschwesternschülerin im zweiten Semester.“ Meinen Nachnamen behalte ich für mich. Forster, der Name gefällt mir nicht. Warum eigentlich. Er schnappt meine Hand und zieht mich ins Gewühl. Ein Hübschling. Er gefällt mir! Atemlos tanze ich voller Hingabe und Inbrunst, Freude und ein Gefühl der Schwerelosigkeit überkommt mich, so habe ich das noch nie erlebt. Ich habe Flügel, eine Elfe im Reich der Musik und der Sinne. Er, der Supertänzer nimmt sich die Zeit um mit mir zu tanzen.
Wir reden kein Wort, nur Rhythmus und Bewegung. Trotz allem kann ich sein Gesicht betrachten.
Irgendwann führt er mich zu meinem Platz, geht zu seiner Band, spielt seine Musik, versinkt in seinem Sound, ich gehöre nicht dazu.
Ich tanze ohne Unterbrechung, in den Pausen gehe ich manchmal mit dem jeweiligen Tänzer an die Bar, Sekt oder Wasser trinken. Es ist schön, ich genieße. Ich höre Komplimente, die eindeutig mir gelten. Wow!!
Öfter werde ich von einem Mann aufgefordert, er ist kein Student mehr. Architekt, demgemäß etwas älter als ich. Was will er, ich habe keine Lust meine Zeit mit ihm zu verbringen. Er erzählt mir an der Bar über sich. Geschäftssohn aus Würzburg. In zwei Jahren will er in die Staaten, das sollte ein erfolgreicher Architekt tun. Ich verstehe ihn nicht. Er interessiert mich nicht. Wie kann ich ihm entkommen? Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn anlüge. Ich sage ihm, dass ich einen Freund habe, das hilft. Er tut mir leid, ein wenig, er wirkt verloren. Seine Augen schauen in meine Seele, er weiß, dass ich nicht die Wahrheit sage. Wie peinlich. Ich lache laut und lasse ihn stehen. Heute will ich mich nicht um Andere sorgen, heute bin ich eine Elfe.
Mein Interesse ist auf den Musiker fokussiert. Gunnar, gutaussehend, sogar richtig gutaussehend, sein Gesicht ist lebhaft und ausdrucksstark. Seine Mimik wirkt nicht kalkuliert, sondern natürlich und spontan. Beim Tanzen nehme ich jedes Detail seines Gesichtes wahr. Der Mund ist breit, die Unterlippe etwas stärker als die Oberlippe. Wenn er lacht, sind vorwiegend die oberen Zähne zu sehen. Seine Haare sind honigfarben, dunkelfarbener Honig, eine unbändige Mähne, die an die Pilzköpfe der Beatles erinnert. Seine Augen liegen etwas zurück, leicht verschattet, geheimnisvoll, was seinem Gesicht einen besonderen Reiz verleiht. Seine Augenfarbe ist mir nicht erinnerbar. Ich bin mit meinen Betrachtungen noch nicht fertig, wundere mich insgeheim über eine neue Gewohnheit, Gesichter zu studieren. Sein Gesamtbild liegt sehr nahe an meinen Vorstellungen, wie ein „Elf“ auszusehen hat.
Mittlerweile ist der Ball auf dem Höhepunkt angekommen, die Band macht Pause. Ich gehe in den kleineren Saal, um nach meinen Mädels zu schauen. Veronika kommt mir entgegen, lacht und geht am Arm eines Prinzen an die Bar. „Komm mit, ich gebe eine Runde aus.“
„Okay, wo sind die Anderen?“ Veronika zieht ihre Schultern hoch: „keine Ahnung!“
Ich setze mich auf einen Barhocker ziemlich am Ende der Bar, so habe ich einen Überblick. Was will ich überblicken?
Die beiden knutschen, ich drehe mich in eine andere Richtung. Was will ich entdecken, ich gestehe es mir nicht ein, dass ich nach dem Musiker spähe. Nein Sibylle, nicht, es gibt nur Kummer. Ja, das ist mir jetzt egal. Mein Glas ist leer, ich bedanke mich bei Veronika und verlasse meinen unbequemen Hocker an der Theke. Ich brauche frische Luft, gehe im Foyer auf und ab, zielstrebig, ungeduldig, nicht elfenhaft. Ich will unbedingt diesen Mann sehen, unbedingt! Also gehe ich sittsam zu meinem Platz an dem großen Tisch neben der Bühne. Und schon kommt mein wunderbarer Tänzer auf mich zu, setzt sich neben mich und schaut mir in die Augen. Ich sehe keine Minuspunkte!
- Langsam dämmert der Morgen, braucht seine Zeit
Der Ball ist zu Ende, ich sehe meine Kolleginnen am Ausgang auf mich warten. Gunnar reicht mir die Hand und raunt mir ins Ohr: „ich rufe dich an“! Er läuft ohne sich umzusehen los, einfach so, ich bin enttäuscht! Ich habe ihm keine Telefonnummer gegeben. Eine Bitternis bleibt in mir zurück und mein Hochgefühl verschwindet. Schweigsam stapfen wir durch den frisch gefallenen Schnee. Mir ist kalt, meine Schuhe können die Kälte nicht abhalten. Wir reden nicht, sind stumm. Ist der Kontrast von Faschingstrubel gegen eiskalte weiße Stille so groß, oder haben wir mehr erwartet von unserem ersten Faschingsball?
Wir läuten am großen Eingangstor der Kinderklinik, Liz öffnet uns die Türe. Sie arbeitet heute in der Nachtwache auf der Intensivstation für Frühgeborene und dazu gehört der Pfortendienst. Sie muss die Akutfälle empfangen und die nötigen Abläufe organisieren. Sie sieht mich an und merkt, dass ich traurig bin. Warum bin ich traurig, der Abend war schön, ich hatte meinen Spaß. In mir ist diese ungewisse Stimmung, die mich ab und zu wie ein dunkles Tier überfällt. „Wir reden nächste Woche Sibylle, da habe ich Zeit.“
Sie eilt wieder auf die Station, um die kleinen Patienten zu versorgen. Wir vier müden Ballbesucherinnen gehen die breite Holztreppe hoch, in den zweiten Stock, in unser Zimmer im Gang hinten links. Rechts liegen die Wirtschaftsräume.
Wir sind still, keine Lust zu reden, was ungewöhnlich ist. Wir ziehen uns aus und schlüpfen in unsere Betten. Veronika sagt: “schön wars, oder? Mir hat es gefallen. Ich treffe mich am nächsten Sonntag mit Jürgen, um auf die Festung zu wandern“.
Schön für sie, langsam erwachen meine Füße wieder zum Leben. Ich schlafe tief und traumlos.
Zwei Wochen später bekomme ich einen Anruf von Gunnar. Das Telefongerät ist im Flur installiert, den Luxus, im Zimmer ein Telefon zu haben, ist zu damaliger Zeit nicht möglich. Jemand geht beim Klingeln ans Telefon und holt die jeweilige Schülerin. Heute bin ich am Apparat und überrascht, Gunnar am Telefon zu hören. Woher hat er diese Nummer? Er will sich mit mir verabreden: „Sybille, wollen wir uns treffen? Samstagnachmittag vor dem kleinen Lu, ich würde dich gerne wiedersehen“.
Schau an, er kennt noch meinen Namen. Natürlich will ich, viel zu schnell sage ich zu. Mache eine Einschränkung, „ich habe Mittagsdienst, ich versuche den Dienst zu tauschen, es wird klappen. Freue mich dich zu treffen.“
„Fünfzehn Uhr, ich freue mich“.
„Ade, mach`s gut und bis dann!“
Bevor er auflegt, frage ich nach seiner Telefonnummer. Er ist selten am Apparat, zögert kurz, gibt sie mir schließlich. Was habe ich mir dabei gedacht, was soll ich mit ihm reden? Was will er von mir? Ich reduziere mich, wie so oft in meinem Leben, auf mein Äußeres. Ich weiß wie ich mich anziehen muss, kenne mich mit Farben aus, welche Wirkung sie haben. Aber die Schatten in meinem Inneren, sie sind stark und verhindern so vieles. Sie lassen mich an mir zweifeln, was ich auch tue, ich traue mir nichts zu. In Situationen wie dieser, male ich mir Schreckgespinste aus, wie ich mich blamiere. Andererseits möchte ich ihn sehen und vielleicht kennenlernen. Ich schiebe alle Vorbehalte und fadenscheinigen Argumente zur Seite und nehme mir vor, mich zu freuen. Ich staune über meinen Mut.
Warum habe ich nur zugesagt. Ich, die bisher immer einen Bogen um Jungen machte. Ich bin neugierig, warum er mich treffen will.
Es reicht, ich werde zu meinem ersten richtigen Rendezvous gehen!
Meine Mittel sind begrenzt, ich verdiene während meiner Ausbildung nichts. Meine Eltern zahlen mir monatlich einhundert DM. Das ist mein Taschengeld, Verpflegung und Unterkunft sind frei. Was bleibt da für Kleidung übrig. Man sagt mir, dass ich hübsch bin, was immer hübsch bedeuten mag. Ich sehe mich anders.
Unser erstes Date. Ich bin extrem aufgeregt. Er ist mir nicht gleichgültig. Gunnar steht vor dem kleinen Lu. Es gibt auch noch ein Großes Lu!
Lu steht für Ludwig. Ich bin öfters hier, um aus der Sterilität einer Klinik zu entkommen.
Er reicht mir die Hand und begrüßt mich artig. Ich spüre seine Blicke, ich hoffe er ist mit dem was er sieht, zufrieden.
Er fragt, „wollen wir auf einen Kaffee ins Lu, oder willst du laufen.“
„Ja, laufen wir am Main entlang, das Wetter ist gut und trinken unterwegs etwas.“
Unsere Unterhaltung stockt, wir sind beide gehemmt. Ich erzähle ihm von meiner Arbeit auf Station, dem Unterricht, der uns viel Zeit zum Lernen abverlangt. Kaum Freizeit, die Belastung bei Todesfällen der kleinen Patienten. Die Sterberate ist hoch. Die Tragik der Eltern. Er hört mir aufmerksam zu.
Ich sehe seine Augen, sie sind braun und still. Mein Herz ist schwer, ich ahne was da heraufzieht.
Langsam, stockend erzählt er von sich, seiner Familie und Geschehnisse beruflicher Art. Er ist nicht der Gunnar, den ich in den Huttensäle erlebte. Ich vermisse seine Zuwendung und Zartheit. Er präsentiert sich mir sachlich, wie ein Stadtführer, der seine Lektion an den Mann bringt. Weiter geht’s im flotten Tempo am Fluss entlang.
„Hier können wir etwas trinken Sibylle,“ er blickt mir in die Augen und schon ist das Feuer wieder entfacht!
Danach sehen wir uns oft, fahren Rad, gehen spazieren, trinken Kaffee. Ich erfahre die Geschichte seiner Familie.
Vertrieben von ihren Ländereien im Osten Deutschlands. Sie erwarben 1955 in Bug, einer kleinen Ortschaft nahe Bamberg, eine Brauerei mit Ländereien von einem kinderlosen Ehepaar.
In den fünfziger Jahren ist die Akzeptanz der Neuankömmlinge, den Flüchtlingen, oft problematisch.
Gunnars Mutter Klara, schafft die Hürde und knüpft über die Frauen der angesagten Familien in der kleinen Ortschaft langsam und sehr diplomatisch die nötigen Kontakte. Bug ist jetzt eingegliedert und gehört zu Bamberg. Sein Vater und der ältere Bruder leiten den Betrieb. Hubertus regelt den Vertrieb, Wilhelm, der Vater, braut das Bier. Sie erzielen gute Umsätze. Sprichwörtlich ist das historische Rauchbier.
Ein Hotel, neben dem Brauhaus aus der Gründerzeit, beschert viele Gäste. Gutes Bier, gutes Essen und sehr guter Service bringt der Familie Erfolg. Der Biergarten mit alten Eichen und Obstbäumen ist legendär und der wachsende Tourismus hilft endlich mit Gewinn zu arbeiten.
Mit Dietlinde, eine von zwei Töchtern, führt Klara umsichtig Hotel und Restaurant. Sie ist eine ausgezeichnete Köchin. Bald konnte sie mehr Personal einstellen. Eine kluge Frau, sie besteht auf genügend Freizeit für ihre Familie, was allen zugutekommt. Die jüngste Tochter, Susanna, will von all dem nichts wissen, sie ist zurzeit als Austauschschülerin in Boston bei einer ihnen bekannten Familie.
Ebenso Gunnar, er verabscheut den Hotelbetrieb. Immer seien Fremde im Haus.
Ich nenne ihn meinen Freund, den ich seit einem viertel Jahr oft sehe, viel verbalen Austausch mit ihm habe, jedoch noch keinen Millimeter ihm nähergekommen bin. Bei gewissen Themen distanziert er sich. Er küsst mich keusch auf beide Wangen, hält meine Hand und wehrt meine diversen Versuche, ihn zu verführen, vehement ab. Er lacht und boxt mir leicht auf meinen Oberarm. Ein Zeichen für mich, dass dieses Thema zu Ende ist.
Eine Sperre, er ist nicht schwul, aber was steckt hinter dieser sexuellen Enthaltsamkeit. Wie lange will ich das hinnehmen. Ich rufe mich zur Geduld, da ich ihn sehr gerne mag. An meinen freien Wochenenden verbringe ich viel Freizeit mit ihm. Er versteht interessante Ausflugsziele zu finden. Die Gegend um Würzburg ist sehr romantisch und historische Orte sind schnell zu erreichen. Seine verständnisvolle Art und Offenheit für meine Probleme und Ärgernisse während meiner Ausbildung, ist für mich ein Glück. Es ist ein harter Job, den ich da absolvieren muss. Viel Verantwortung und keine finanzielle Anerkennung. Ein Frauenberuf, soziales Engagement und Dankeschön.
Gunnar erklärt sich mir nicht, ist verschlossen wie eine Auster. Sein Aussehen spricht Anderes, ein Frauentyp, er wird gesehen, viele verführerische Augen richten sich auf ihn.
Seine Eltern, die gesamte Familie, ist umgänglich und mir gegenüber freundlich und aufgeschlossen. Ich kann sie nicht fragen, warum Gunnar so ist. Zu damaliger Zeit ist Sexualität ein Tabuthema. Vielleicht bin ich zu stürmisch mit meinem körperlichen Begehren. Ich bin aufgeklärt und weiß, dass idealerweise Hormone zu Bedürfnissen der körperlichen Liebe führen, wenn die Chemie zwischen Beiden stimmt. Es gehört zu einem erfüllten Leben, wie die Kultur, eine gesunde Ernährung und vieles mehr, das führt jetzt doch zu weit! Die Evolution regelt seit Urzeiten unser Weiterbestehen, sonst wären wir Menschen schon längst ausgestorben.
- Ursache und Wirkung
Hurra, endlich wieder ein freies Wochenende. Gunnar und ich unternehmen eine Radtour am Main entlang, Richtung Volkach und irgendwo einen Zwischenstopp, um zu übernachten. In der Nacht ist viel Tau gefallen, aber die Wärme hat ihn schnell wieder aufgesogen, und nun steht alles sauber und klar in der Luft, die Zäune im Wiesenland, farbige Wäsche auf den Höfen der kleinen Bauernhöfe, Vieh auf den Weiden, Wälder in der Ferne. Selten habe ich den Himmel so blau gesehen, aus der die Sonne ungebrochen strahlt. Noch ist es Frühling. Die Luft ist voller Blütenduft, eine sanfte Prise lässt uns leicht unsere Tour beginnen. Es ist früh am Tag.
Ich höre einen Kuckuck, er ist der erste in diesem Jahr. Er sitzt nicht weit von dem Radweg in einem kleinen Mischwald. Seine Melodie passt so gar nicht in diesen himmelblauen sorglosen Frühlingstag. Zu sehen ist er nicht, eine Pause, dann beginnt er tönend erneut seinen Ruf.
Hoch im lichten Himmel zieht ein Raubvogel seine Kreise, ob er sein Frühstück findet? Die Natur wandelt sich in aller Stille und überzieht sich mit einem üppigen Hochzeitskleid.
Wir sind beide gut trainiert, die Tour macht Spaß. Die Radwege sind nicht gut ausgebaut, öfters müssen wir den Fluss verlassen und durch steile Weinberge und winzige Dörfer fahren. Wir sind weitgehendst alleine unterwegs. Es ist Samstagmorgen, da haben die Unterfranken anderes zu tun.
In Randersacker machen wir die erste Pause. Wir wollen frühstücken und haben in einer kleinen Gastwirtschaft einen schönen Garten entdeckt. Die Wirtin ist gut aufgelegt, schäkert mit Gunnar und er schäkert zurück. Ich fühle mich sehr erwachsen.
Es gibt die obligatorischen Wecken, Schwarzbrot, Butter, Honig und Marmelade. Gunnar will Eier mit Speck, ich ein gekochtes Ei und viel Kaffee.
Ich nehme mir vor, heute eine Entscheidung herbeizuführen. Ich will nicht wie eine taube Brennnessel leben. Es macht mich fertig, wenn ich ihn ansehe, er verhält sich wie ein Jesuit im Kloster.
Meine Unrast macht mir zu schaffen. Ich finde keine Ruhe, bin unzufrieden mit mir und traurig. Mein Selbstvertrauen schmilzt immer schneller.
Ich gebe mir die Schuld, dass er von mir nichts wissen will. Ich bin unsagbar unglücklich, es ist schmerzlich mit einem Mann zusammen zu sein, der körperlich sich vor mir zurückzieht.
Ich träume vor mich hin, das hilft mir, meine Traurigkeit zu mildern. Gerne würde ich jetzt auf einem Hügel sitzen und die Welt betrachten. Vielleicht könnte mir die Natur die Antwort geben, die mich so umtreibt. Ein paar Kirschblüten die mich in eine Elfe verzaubern und mir mein wundes Herz heilen.
Gunnar stupst mich an, „Sibylle was träumst du, willst du mir davon erzählen?“ Jetzt könnte ich ihn fragen, dazu fehlt mir der Mut und die Stimmung ist vorüber.
Was ich noch sagen will, meine Telefonnummer bekam Gunnar von einem Studenten, der mit dem sogenannten Schmiss, einer von denen die in der Nacht in unserer Ambulanz behandelt wurde.
Man kennt sich!